Montag, 23. Januar 2012

"Comedian Harmonists", Musiktheater im Revier, 21. Januar 2012

Dass ich für die zweite Vorstellung der "Comedian Harmonists" überhaupt ein Ticket bekommen habe, grenzt an ein Wunder, denn auf der Seite des Theaters prangt hinter jeder Vorstellung ein fettes AUSVERKAUFT. 
Und ich weiß, warum.




Die Geschichte der Comedian Harmonists beginnt im Dezember 1927 mit einer Anzeige, in der Harry Frommermann nach Sängern für ein Vokalensemble ähnlich wie "The Revellers" sucht. Er findet als Ersten Robert Biberti, mit Ari Leschnikoff, Erich Collin, Roman Cycowski und Pianist Erwin Bootz sind die Comedian Harmonists schließlich komplett.
Sie proben ein Jahr lang nachts in der Dachkammer von Harry Frommermann, ohne nennenswerte Erfolge verzeichnen zu können. Das ändert sich schlagartig, als die Gruppe ans große Schauspielhaus geholt wird. 
Der kometenhafte Aufstieg wird allerdings mit der Machtergreifung Hitlers gestoppt, da die Gruppe zur Hälfte aus jüdisch stämmigen Mitgliedern besteht. Man erteilt ihnen ein Auftrittsverbot, so dass sie gezwungen sind, im Ausland aufzutreten. Letzen Endes führt das zum Bruch, weil die Musiker, die nach Deutschland zurückkehren könnten, nicht weiter im Ausland leben können oder wollen. 
Nach ihrem letzten Konzert haben die sechs Musiker sich nie wieder in dieser Konstellation getroffen, obwohl alle den Krieg überlebt haben.

Die Comedian Harmonists: 
Am Flügel Erwin Bootz (Askan Geisler), im Bilderrahmen von links: Harry Frommermann (Michael Dahmen), Erich Collin (Markus Schneider), Ari Leschnikoff (Mark Weigel), Roman Cycowski (Piotr Prochera) und Robert Biberti (Ralf Rhiel).

Das Bühnenbild bestand ausschließlich aus überdimensionalen, antiken Fotorahmen, in dem sich einzelne Szenen abspielten, einem Flügel und einer Plakatwand. Immer wieder mit neuen Plakaten beklebt, war sie die Orientierung, wo man sich zeitlich befand. Zudem wurde hier auch der Wendepunkt der Geschichte überdeutlich, als der SA-Offizier die Konzertankündigung mit einem roten Judenstern beschmiert nämlich.

Die Kostüme passten immer perfekt zur jeweiligen Situation. Die einfachen Hosen, Hemden und Strickjacken, während die Herren in Frommermanns Dachkammer probten, die glamorösen weißen Fracks und Zylinder auf dem Höhepunkt der Karriere und die dezenten Hüte und einfachen Trenchcoats in der Szene, als die Herren sich voneinander verabschieden.
  
Alle Fotos: MiR

Ziemlich beeindruckt hat mich der Gesang. War ich anfangs nicht sicher, ob Lieder, wie "Mein kleiner grüner Kaktus" und "Veronika, der Lenz ist da" mich abendfüllend begeistern würden, war ziemlich schnell klar, dass sie das sehr wohl können. Denn wer - so wie ich - nur diese beiden Songs im Hinterkopf hat, unterschätzt das Repertoire, den Wortwitz, vor allem aber das gesangliche Können der Gruppe, gewaltig. Und das gilt für die historischen Vorbilder genauso wie für die Protagonisten des Abends.
Jeder einzelne hat mich in seiner Rolle mehr als begeistert. Der immer ein bisschen arrogant wirkende Erwin Bootz (Askan Geisler), der mit der typischen Berliner Schnauze ausgestattete Robert Biberti (Ralf Rhiel), der aufbrausende Harry Frommermann (Michael Dahmen), der Akademiker Erich Collin (Markus Schneider), der lebenslustige Ari Leschnikoff (Mark Weigel) und der melancholische Roman Cycowski (Piotr Prochera).
Nicht zu vergessen natürlich: Lutz Reichert, der die zickige Vermieterin in Kittelschürze, den schlitzohrigem Manager, den Nazi-Schergen, der sich erstmal ein Autogramm sichert und die gefühlten 20 weiteren Rollen zu echten Highlights macht.

"Comedian Harmonists" ist ein eher leises, melancholisches Stück, in dem ich selten laut gelacht, dafür aber immer ein bisschen gelächelt habe. Und diese stille Freude hält bis heute an.


Besetzung:

Ari Leschnikoff - Marc Weigel
Erich Collinn - Markus Schneider
Harry Frommermann - Michael Dahmen
Roman Cycowski - Piotr Prochera
Robert Biberti - Ralf Rhiel
Erwin Bootz - Askan Geisler
Conférencier - Lutz Reichert

Musikalische Leitung / Klavier: Askan Geisler
Inszenierung: Sandra Wissmann
Bühne:    Britta Tönne
Kostüme: Andreas Meyer
Choreografie: Kati Farkas
 

Montag, 16. Januar 2012

"Comedian Harmonists", Musiktheater im Revier

Da sich meine Ausflüge ins Ruhrgebiet in letzter Zeit wieder summieren, sollte ich ernsthaft über eine Zweitwohnung im Pott nachdenken. Wenn ich Fahrkosten und Nerven mal hochrechne, wäre das sicher nicht die schlechteste Idee. Andererseits empfindet man eine Strecke ja nur noch als halb so weit, je öfter man sie fährt. Und bis Dortmund schaffe ich es inzwischen mit verbundenen Augen.

Für meinen nächsten Ausflug werde ich allerdings noch ein paar Kilometer drauf packen müssen, denn es geht nach Gel.... Gelse... also die Stadt, deren Name nicht genannt werden darf (so fern man Fan des BVB ist und das bin ich). Wenn es um Fußball geht, mache ich einen großen Bogen um diese Stadt, fürs Musical, die "Comedian Harmonists", um genau zu sein, muss ich dieses Opfer aber einfach bringen.

Foto: Detlefs Notizblog


Premiere war ausgerechnet am letzten Freitag. Wobei sich mir unweigerlich die Frage stellt, wer sich dieses Datum ausgesucht hat, wenn auch nur ein Hauch dessen wahr ist, was man über den Aberglauben in Theaterkreisen so behauptet.
Aber Datum hin, Aberglaube her, die Premiere war mehr als gelungen, wenn man sich durch die Kritiken der Zeitungen und durch Detlefs Notizblog liest. Und wer so neugierig ist wie ich, dem bietet man via Mediathek des WDR schon mal einen Blick hinter die Kulissen.

Ich bin gespannt, wie man die Geschichte der "Comedian Harmonists" auf der Bühne umgesetzt hat, auf welchem Aspekt der Fokus liegt und ob man mir die Radkappen klaut, weil ich einen BVB-Aufkleber auf der Heckscheibe habe. 

Stay tuned...

Sonntag, 8. Januar 2012

"Ganz oder gar nicht - The full monty", Opernhaus Dortmund, 7. Januar 2012

Grob fahrlässig, mir gegenüber einen Satz wie "Ach, das würde ich mir auch mal ansehen!" fallen zu lassen und damit "Ganz oder gar nicht" zu meinen!
Keine fünf Stunden nachdem sie diesen verhängnisvollen Satz gesagt hatte, saß die unvorsichtige, redselige Freundin nämlich hinter mir in Loge eins des Dortmunder Opernhauses. Weitere drei später grinste sie ziemlich breit und summte "Fühl dich frei, fühl dich, sei mal locker, fühl dich frei!" vor sich hin.
Mission completed.

Der Platz in der Loge bot mir eine komplett andere Sicht als beim letzten Mal in Reihe zwei. Für den Gesamtüberblick war das nicht schlecht, aber beim nächsten Mal darf's dann gern wieder weiter vorn sein. Beim nächsten Mal? Ähm... JA, denn das "NOCHMAL!"-Gefühl ist auch gestern nicht ausgeblieben, weil...
...das Stück ist einfach toll, die Balance zwischen Spaß und Melancholie ist perfekt, wischt man sich in der einen Sekunde noch die Lachtränen aus den Augen, hat man in der nächsten schon einen leichten Kloß im Hals.
...die Cast ist durchweg grandios. David Jakobs als Jerry Lukowski, der den verzweifelten Vater, der das Sorgerecht für seinen Sohn Nathan zu verlieren droht, genauso überzeugend und stimmgewaltig gibt, wie den etwas großmäuligen Macho, der seine Freunde zum Strippen überredet. Patrick Stanke spielt Dave Bukatinsky, den übergewichtigen, zum Hausmann degradierten Stahlarbeiter mit unglaublich viel Spaß an der Rolle. Dirk Weiler ist als seriöser Ex-Abteilungsleiter, der es nicht übers Herz bringt, seiner verwöhnten Frau Vicky (Melanie Wiegmann) seine Arbeitslosigkeit zu beichten, sehr beherrscht und souverän, hat am Ausziehen aber schließlich ähnlich viel Freude, wie Markus Schneider als Elton, der bei jeder sich bietenden Gelegenheit blank zieht. Nicht zu vergessen: Tim Ludwig als schüchternes Muttersöhnchen Malcolm, der durch seine neuen Freunde auch seinen Lebenswillen wiederfindet sowie Frank Odjidja als leicht hüftsteifer Horse.
Nicht weniger toll: Die Damen. Sabine Ruflair als quirlige Georgie Bukatinsky, Verena Mackenberg als Estelle, Tina Haas als Nathan/Susan und Julia Klotz als Pam Lukowski. Mein persönliches Highlight war aber auch diesmal wieder Johanna Schoppa als Jeanette. Göttlich, wie sie hinter ihrer Orgel herumtobt und die Jungs anfeuert.
...das Bühnenbild ist mit der Fassade des Stahlwerks recht einfach gehalten, bietet durch Treppen und Galerie aber die Möglichkeit, auf zwei Ebenen zu spielen. Die restlichen Kulissen werden bei Bedarf auf Schienen auf die Bühne gefahren: die Herrentoilette, Schlafzimmer, Wohnzimmer, Küche, ein Cafe...
... die Musik ist abwechslungsreich. Soul, Motown, Rock, Pop. Und wer beim Verlassen des Theaters nicht "Fühl dich frei" vor sich hinsummt, hat irgendwas falsch gemacht.  


Blieben bei meinem letzten Besuch noch einige Sessel leer, war das Theater gestern bis auf den letzten Platz besetzt. Offensichtlich hat sich inzwischen rumgesprochen, was man hier geboten bekommt. Und ich kann mich nur wiederholen: Wenn irgendwas das Prädikat "sehenswert" verdient hat, dann sicher "The full monty".