Ich hatte nicht wirklich eine Ahnung, was genau da mit „Assassins“ auf mich zukommen würde. Streng genommen wusste ich nicht viel mehr als dass es um Menschen geht, die mehr oder weniger erfolgreich versucht haben, amerikanische Präsidenten zu ermorden und dass es Sondheim ist, also eher nichts mit happy go lucky. That’s it.
„Assassins“ war anders. In so ziemlicher jeder Hinsicht. Kein großes Theater, kein aufwändiges Bühnenbild, keine pompöse Lichtregie. Es gab so gut wie keine Trennung zwischen Bühne und Zuschauern, die Spielfläche lag in der Mitte, rechts und links davon befanden sich die Tribünen. Übersichtliche sechs Reihen auf jeder Seite. Womit klar sein dürfte, wie dicht man auf jedem der Plätze am Geschehen war.
Schon beim Betreten stellte sich ein irgendwie beklemmendes Gefühl ein, denn man gelangte nur durch einen überdimensionalen geöffneten Clownsmund, begleitet von unheimlichem Gelächter, in den eher düsteren Zuschauerraum. Die Spielfläche stellte einen amerikanischen Rummelplatz mit den dafür typischen Lichterketten als einziger Beleuchtung dar. Auf der rechten Seite befand sich ein umgestürzter Clownskopf, der von innen beleuchtet, nicht ganz unwesentlich zu der bedrohlichen Atmosphäre beitrug. Auf der linken Seite saß der Balladeer (Jamie Parker) in einem Autoscooter und spielte ein paar Akkorde, während hinter ihm einige der Attentäter bewegungslos beobachteten, wie das Publikum den Saal betrat.
Die Gänsehaut schon vor Beginn kam definitiv nicht nur von den arktischen Temperaturen in der Fabrik.
(Foto: gefunden auf tumblr)
Das Stück ist eine lose Aneinanderreihung der einzelnen Attentatsgeschichten und hält sich auch nicht an eine zeitliche Abfolge. Jeder der Protagonisten kommt zu Wort und erhält die Gelegenheit, seine Beweggründe für den Mord bzw. versuchten Mord zu erläutern. Zusammengehalten werden die Episoden durch den Balladeer, der aber nicht nur die Verbindung zwischen den Solisten darstellt, sondern die ein oder andere Geschichte auch bissig kommentiert und den Täter mit Fragen provoziert, mehr von sich preiszugeben als er wollte.
(Foto: britishtheatre.com)
Eine weitere verbindende Figur ist der Proprietor (Simon Lipkin). Als wären sein verschmiertes Clowns-Makeup und das blutbefleckte Unterhemd nicht schon beunruhigend genug, unterstrich er das durch seine bedrohliche Körpersprache und die Tatsache, dass er derjenige war, der den Tätern die Waffen verkaufte. Gleichzeitig diente er den Attentätern auch als Präsidentendouble und blickte so immer in die Mündung einer Waffe, die er dem Protagonisten selbst verkauft hatte.
Er stand während des Stückes eine ganze Weile auf der Treppe direkt neben uns und beobachtete reglos das Geschehen auf der Bühne. Selten, dass ich mich allein durch die Präsenz eines Darstellers so unbehaglich gefühlt habe.
Als völlig gegensätzlich zur düsteren Grundstimmung auf der Bühne entpuppte sich die Musik. Nie im Leben hätte ich da schmissige Revuenummern samt dazugehöriger Tanzeinlagen erwartet. Selbst die getragenen Songs wurden durch die Einwürfe des Balladeers aufgelockert. Ich mochte den Gegensatz sehr gern, weil er zum gesamten Stück passt, in dem ich die meiste Zeit nicht mit Sicherheit sagen konnte, ob ich die Täter nun hassen oder ihnen doch gewisse Sympathien entgegenbringen wollte.
Besonders spannend fand ich den Kniff gegen Ende des Stückes. Hier beschwören die Attentäter im Kollektiv, aber allen voran John Wilkes Booth (Aaron Tveit) den Balladeer, sich unsterblich zu machen, in dem er den Mord an John F. Kennedy verübt. Nie im Leben hätte ich damit gerechnet, dass ausgerechnet der Erzähler plötzlich mitten im Geschehen sein könnte. Noch dazu als bekannteste Figur, denn wenn wir mal ehrlich sind, weiß wahrscheinlich jeder, wer für den Mord an JFK verantwortlich gemacht wurde, während man eher im Dunkeln tappt, wenn es um den Mord an Lincoln geht.
Das Finale sorgte dann wieder für Beklemmung. Man erwartet bei einer so kleinen Bühne ja irgendwie Interaktion mit dem Publikum, allerdings fiel auch das anders aus als gedacht. Ich war nicht darauf gefasst, dass man eine Waffe auf mich richten würde. Aber da saß ich und blickte nicht nur in Aarons entschlossenes Gesicht, sondern auch in den Lauf einer Pistole.
(Foto: nytimes.com)
Es fällt mir schwer, jemanden aus dem großartigen Ensemble besonders hervorzuheben. Ich mochte Catherine Tates Interpretation sehr, sie war laut und polternd und tollpatschig und unglaublich lustig. Aber auch Jamie Parker hat bleibenden Eindruck hinterlassen. Genau wie Simon Lipkin. Eigentlich gilt das für jeden einzelnen Darsteller. Trotzdem war es natürlich besonders, Aaron tatsächlich live sehen zu können. Noch dazu aus einer Distanz, die - gemessen an anderen Theatern - gar keine war. Zumal er während der Performances der anderen Darsteller immer wieder irgendwo im Publikum stand. Zum Beispiel auf der Treppe direkt neben uns. Da kann man als Fangirl schon mal schnappatmen. Fehlende Objektivität hin oder her: Er war stimmlich und darstellerisch unfassbar gut ohne jemand anderen an die Wand zu spielen.
„Assassins“ beschäftigt mich noch heute. Es ist einfach so vielschichtig und liefert mehr als einen Grund, darüber nachzudenken. Inzwischen besitze ich nicht nur beide Cds, sondern auch das Libretto und vieles erklärt sich erst im Nachhinein. Ich hätte gern die Chance gehabt, das Stück mit diesem Wissen im Hintergrund ein zweites Mal zu sehen.
Cast:
The Proprietor: Simon Lipkin
The Balladeer/Lee Harvey Oswald: Jamie Parker
John Wilkes Booth: Aaron Tveit
Charles Guiteau: Andy Nyman
Leon Czolgosz: David Roberts
Giuseppe Zangara: Stewart Clarke
Lynette "Squeaky" Fromme: Carly Bawden
Sara Jane Moore: Catherine Tate
John Hinckley, Jr.: Harry Morrison
Samuel Byck: Mike McShane
Emma Goldman: Melle Stewart
Bystanders: Greg Miller Burns, Aoife Nally, Marc Akinfolarin, Adam Bayjou
Ich hab überhaupt keine Ahnung um was es bei dem Stück eigentlich geht, aber für die drei, die ich aus der Cast kenne hätte es sich schon gelohnt! Vermute ich... Och Mella, please!!! Wenigstens ein-zwei Sätze, ja?!? Bitte, bitte :)
AntwortenLöschenOkay... ich hab's mit ein oder zwei Sätzen versucht. Damit komme ich aber irgendwie nicht hin ;) Der Blogeintrag ist in Arbeit, wird aber vermutlich eher Herr der Ringe-Ausmaße annehmen.
LöschenIch seh gerade... es sind viele, viele schöne Sätze geworden. Ich freu mich so sehr über den Bericht.
AntwortenLöschenInteressant was du zu Simon Lipkin schreibst. Ich hatte ihn mehrfach als Lonny in Rock of Ages. Ich fand ihn so genial. Aaron.. tja, wer würde ihn nicht gerne so hautnah erleben und Catherine Tate ist für mich ne Fernsehgröße aus einer mein Lieblingsserien. Bin schon ein bisschen neidisch.
In einem ähnlich kleinen Theater im Off West End war ich auch schon. Hat was ganz eigenes diese Art von Darsteller Nähe.
Es ist mir echt schwer gefallen, etwas zu diesem Stück zu schreiben. Ich bin auch nach wie vor nicht glücklich mit dem Bericht, weil mir dauernd noch irgendwas einfällt, das ich besser hätte erwähnen sollen.
LöschenDie komplette Cast war grandios und hat mich echt begeistert. Und das Stück selbst ist sehr spannend. Aber ich mag Sondheim ja sowieso.
Assassins war jedenfalls das beste Geburtstagsgeschenk ever. Und nicht nur, weil ich Aaron live sehen konnte.