Montag, 2. April 2012

"Hair", Theater Bonn, 31. März 2012

Eins vorweg: Ich LIEBE "Hair". Weswegen es mir einigermaßen schwer fällt, objektiv zu bleiben. Anderereits verlangt ja auch niemand, dass ich eine wissenschaftliche Abhandlung schreibe. Und am Ende wird sowieso jedem klar sein, wie ich's fand: TOLL!

Bei dieser Inszenierung handelt es sich um eine Co-Produktion des Staatstheaters Kassel und des Nationaltheaters in Mannheim. Ich hatte das Stück in Kassel bereits gesehen und wusste, was mich erwartet. Jedenfalls dachte ich das.



Video: Theater Bonn


"Hair" besticht jetzt nicht gerade mit einer durchgängigen Handlung, es geht vielmehr darum, das Lebensgefühl dieser Zeit einzufangen, die Ideale der Hippies aufzuzeigen und wie die Realität ihre großen Träume von einer besseren Welt letztlich zunichte macht.

Die Figur des Claude Bukowsky ist sowas wie der rote Faden des Stücks. Er soll zum Wehrdienst eingezogen werden, rebelliert gegen den jähzornigen Vater und die spießige Mutter, trifft auf eine Gruppe Hippies, denen er anfangs eher skeptisch gegenübersteht, denen er sich aber dann doch anschließt. Und inmitten der kunterbunten Truppe, die ihre ganz eigene Philosophie von Liebe und Frieden lebt, scheint seine Entscheidung, nach Vietnam zu gehen, um sein Land zu verteidigen, völlig absurd und falsch. Und als er mit durchgeschnittener Kehle im vietnamesischen Dschungel endet, müssen auch die Blumenkinder sich eingestehen, dass ihre Träume geplatzt sind.



Das Bühnenbild besteht aus zwei riesigen beweglichen Halfpipes in Weiß und der überdimensionalen, weiß gerahmten US-Flagge im Hintergrund. Das ist man von anderen Aufführungen bunter gewöhnt, mir gefiel aber gerade der Kontrast zu den wirklich tollen, knalligen Kostümen sehr gut.
Weiterhin wurde viel mit Videoprojektionen gearbeitet. Gleich zu Beginn die Rede von John F. Kennedy, später die von Martin Luther King, eine Einspielung von "I love Lucy", die sehr schön das Frauenbild dieser Zeit aufzeigt und am Ende zu "What a piece of work is man" die US-Bomber die das tödliche Agent Orange über Vietnam abwerfen.
Gastauftritte haben auch John Lennon und Yoko Ono, eine blutüberströmte Sharon Tate, Charles Manson, Timothy Leary, Andy Warhol, Rhett und Scarlett, Popeye und einige andere. Für diejenigen, die sich in den Sixties nicht so gut auskennen, waren diese Figuren vielleicht nicht immer zuzuordnen, als Hauptdarsteller eines LSD-Trips hatten sie trotzdem für jeden ihre Daseinsberechtigung.




Schön fand ich auch, dass das Publikum immer wieder miteinbezogen wurde. Ob das der erste Auftritt von Maricel als Sheila war, die sich plötzlich zwischen den Zuschauerreihen durchmogelte, einige Darsteller in den Zuschauerraum kamen und das Publikum zum Mitklatschen- und tanzen aufforderten oder als sie sich gen Ende des ersten Aktes ihren Weg über die Stuhllehnen und die Köpfe der Zuschauer hinweg zu den Ausgängen bahnten.

Zu den Songs muss ich wahrscheinlich nicht viel sagen. "Aquarius", "Hare Krishna", "Good morning starshine" und "Let the sunshine in" kennt jeder. Was man keinesfalls unterschätze sollte, ist die Geschwindigkeit, mit der z. B. Teile von "Manchester, England" oder auch "Hair" und "I got life" zu singen sind. Oder auch "Ain't go no", bei dem das wirklich große Ensemble trotz des hohen Tempos perfekt harmoniert.



Das Ensemble ist durchweg großartig besetzt und spielt mit unglaublich viel Spaß. Trotzdem möchte ich ein paar Darsteller hervorheben: 
Zum einen Tertia Botha als Dionne. Schade, dass ihr auch nach so vielen Jahren, ähnlich wie Judith Lefeber, die ich in Kassel in dieser Rolle sehen durfte, noch immer das Etikett "Castingshow-Sternchen" anhaftet. Das ist so unnötig. Schon beim Opener "Aquarius" macht sie klar, was sie kann.

Maricels "Easy to be hard" war schon stark, aber beim abschließenden "Let the sunshine in" konnte sie so richtig aufdrehen. Die Rolle der Sheila ist eher klein, aber es war schwer zu übersehen, wie viel Spaß ihr das macht.

Sehr, sehr gut gefallen hat mir auch, wie Henrik die Rolle des Oberhippies und Weiberhelden George Berger interpretiert. Ich mag die Attitüde, diese Respektlosigkeit alles und jedem gegenüber. Wenn ich den Prototyp eines Hippies beschreiben müsste: So sähe er aus.

Last but not least... Markus Schneider. Schon nach dem ersten Solo "Where do I go" (cleverer Schachzug übrigens, das an den Anfang des Stückes zu nehmen! Passt super in die Szene.) war klar, mit was er sich in diversen Kritiken Titulierungen wie "herausragend" und "grandios" verdient hat. So viel Bühnenpräsenz, so viel Spielfreude! Bei "I got life" habe ich kurz vergessen zu atmen vor Begeisterung. Un-fucking-fassbar.


Die Standing Ovations am Ende waren jedenfalls mehr als verdient. Und bei den Zugaben haben alle nochmal alles gegeben. Wie das komplette Ensemble auf dem Steg direkt vorm Publikum abgegangen ist, war der Wahnsinn. Vor allem Markus und Henrik mit ihrer Wiederholung des Titelsongs. Es hat SO viel Spaß gemacht zu sehen, wie sehr sie sich über den anhaltenden Jubel gefreut haben. 
Ich weiß nicht, ob Herr Schneider bei jeder Zugabe einen Ausflug ins Hochparkett macht oder ob da einfach die Endorphine mit ihm durchgegangen sind. Irgendwie hoffe ich aber Letzteres.

"Nehmt eure Glühwürmchen und glüht!"




Auf der Bühne standen:

Claude Hooper Bukowsky: Markus Schneider
Donna Bukowsky: Ursula Anna Baumgartner
Mrs. Bukowsky: Simone Stahlecker
Mr. Bukowsky: Carlo Ghirardelli
Berger: Henrik Wager 
Woof: Christof Kaiser 
Hud: Alvin Le-Bass
Jeannie: Peggy Pollow
Steve: Kristian Lucas
Dionne: Tertia Botha 
NaÏma: Jennifer Boone
Cecilia: Miriam Cani
Chastity: Tina Ajala
Crissy: Kun Jing
Sheila: Maricel
Che: Philipp Georgopoulos
Shiva: Annabelle Mierzwa
Cosma: Beatrix Gfaller
Alissa: Miruna Mihailescu
Zoe: Susanne ten Harmsen
Sumatra: Michael Höfner
Tamati: Olaf Reinecke
Pitú: Wanderson Wanderley


(Alle Fotos: Theater Bonn)

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